Einleitung

Brustkrebs ist heute die häufigste Krebserkrankung der Frau. Das Lebenszeitrisiko bis zum 75. Lebensjahr an Brustkrebs zu erkranken liegt bei 1:8 (12,8 Prozent). Fast ein Drittel der betroffenen Frauen erkrankt vor dem 55. Lebensjahr, d.h. in einem Alter, in dem die meisten anderen Krebserkrankungen noch kaum eine Rolle spielen.

Eine ganze Reihe von Risikofaktoren wurden inzwischen identifiziert: Ernährungsgewohnheiten und starkes Übergewicht (Adipositas), Lebensgewohn¬heiten wie mangelnde Bewegung oder Rauchen und Alkoholkonsum, bestimmte hormonelle Situationen wie frühe erste Regelblutung (Menarche), wenige und spätere Schwangerschaften, kürzere Stillzeiten, längerfristige Einnahme von Hormonpräparaten zur Verhütung oder zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden.

 

 

Szenario

Die notwendigen, das heißt die akute Not, die durch die aktuell diagnostizierte, bösartige Tumorerkrankung ausgelöst wird, abwendenden Therapiemaßnahmen wie Operation, Chemotherapie und Bestrahlung können durch ihre für die Tumorzellen giftige und tödliche („zytotoxische“) Wirkung einen erheblichen Einfluss auf das Wohlbefinden der Patientin haben.

In der ersten Zeit der Behandlung, meist kurz nach Mitteilung der Diagnose, ist das Befinden auch durch den Blick in eine vermeintlich finstere Zukunft getrübt. Jetzt ist neben der Tumorbehandlung die Sicherstellung einer optimalen Ernährung, nämlich eine ausreichende Zufuhr von Flüssigkeit, Energie und Nährstoffen durch verträgliche Speisen, notwendig.

 

Ich hatte stets einen Namen,
hier gab ich ihn ab an der Tür,
wie all die andern, die kamen.
Als Fälle nur sitzen wir hier.
Der Doktor hat mich gespalten,
hat mich in zwei Stücke geteilt,
kann nun mit mir Zwiesprache halten,
wie man Wunden schlägt und heilt.
Die mit mir die Wartezeit teilen,
schaun stumpf bis zum Seelengrund,
kein Doktor kann sie heilen,
ein Fall wird nicht gesund.

(nach Elvira Thiedemann, 2002)

 

Darüber hinaus hat die Brustkrebspatientin einen Informationsbedarf bezüglich ihrer individuellen Körperpflege. Hierzu gehören nicht nur Narbenpflege, Pflege der bestrahlten Haut, Umgang mit Haarausfall (und dies nicht nur auf dem Kopf!), Prophylaxe bzw. Behandlung eines Lymphödems, sondern auch die alltägliche Körperpflege. Die Frau, die weiß, was auf sie zukommen kann, hat mehr Möglichkeiten, Eigeninitiative zu entwickeln und sich von Familie und Freunden bei der Auswahl der für sie sinnvollen Heilhilfen unterstützen zu lassen. Nach dem Abschluss der Behandlung beginnt für die Frau das „Leben mit dem Brustkrebs".

Die Lehre von den Geschwülsten (Onkologie) hat ihre Wurzeln sowohl in den Naturwissenschaften als auch in der ärztlichen Heilkunde. Tumorerkrankungen haben sowohl auf der sachlich-wissenschaftlichen als auch auf der emotional-menschlichen Ebene für unsere Gesellschaft eine große Bedeutung. Die innerhalb dieses Rahmens stattfindenden gesellschaftlichen Prozesse haben lange Tradition und viele Vorgehensweisen gelten heute als akzeptierter Standard. Betroffene sind aber immer häufiger nicht bereit, dies einfach hinzunehmen. Hinter dem Wunsch nach Wiederherstellung des körperlichen Wohlbefindens und des Körperbildes steht das Ziel aller therapeutischen Handlungen, nämlich ‚die normalen Bedingungen des Lebens zu erhalten oder wiederherzustellen’ wie es Virchow schon 1855 formulierte. Dabei sind wir uns heute bewusst, dass es sich hier nicht nur um physische, sondern auch um psycho-soziale Gegebenheiten handelt.

Nach Abschluss der primären Tumorbehandlung beginnt die Nachsorge, zu der nicht nur die Suche nach einem möglichen Wiederaufflackern des Tumors (Rezidiv oder Metastasierung) gehört, sondern auch möglichst die Vermeidung dieses Wiederauftretens (sekundäre Prophylaxe). Ist die primäre Behandlung einer Tumorerkrankung zwar immer eine Maßnahme nicht nur gegen den „Eindringling“, sondern in der Folge auch gegen den „Wirt“, so sollten nachfolgende Therapiemaßnahmen vor allem das Wohl des duldenden und geduldigen Menschen („Patientin“, patiens = geduldig) zum Ziel haben. In der „therapeutischen Lücke" zwischen Primärbehandlung und der Behandlung bei erneutem Aufflackern des Tumorgeschehens finden sich Hilfen zur Heilung bzw. zum Heil-Bleiben, die komplementären therapeutischen Maßnahmen.

Gesund sein bzw. sich gesund fühlen heißt jetzt nicht mehr, nicht krank, wohlauf, stark und unverletzt zu sein. Vielmehr bedeutet gesundes Leben jetzt, zwar nicht frei von Problemen zu sein, aber fähig, mit ihnen umzugehen. In der Lebensphase „nach dem Krebs“ gilt es, im eigenen Leben die Harmonie zwischen Körper, Seele und Lebensbedingungen (Umwelt) zu finden und die Belastung des Alltags zu bewältigen.

Nah ist nur Innres; alles andere fern.

Rainer Maria Rilke

Begleiterkrankungen, die die Befindlichkeit und auch die Wahl von komplementären Behandlungen auf Dauer mit beeinflussen, sind z. B. Herz-Kreislauferkrankungen und Bluthochdruck, Diabetes und andere Stoffwechselstörungen. Außerdem müssen normale Alterungsprozesse sowie die Begleiterscheinungen der Wechseljahre und der Zeit danach (Menopause) berücksichtigt werden.

Jetzt zeigt sich, dass Ernährung mehr ist als reine Nahrungsaufnahme: Essen und Trinken halten Leib und Seele zusammen, gemeinsame Mahlzeiten mit Familie und Freunden haben auch eine soziale Funktion. Körperpflege kann bewusster Umgang mit sich selbst und dem geschundenen Leib werden und die Annahme der Verletzungen an Körper und Seele unterstützen.

 

Ernährung und Körperpflege bei Brustkrebs

Ernährung und Körperpflege sind eigentlich Selbstverständlichkeiten unseres Alltags. Neben Wetter, Sport und Familie bilden sie beliebte Themen sowohl in der persönlichen Unterhaltung als auch in den Medien. Darüber hinaus beschäftigen sich ganze Produktionszweige mit den Ernährungs- und Hautproblemen der Industrienationen. Im Großen und Ganzen sind viele der Sorgen der Allgemeinbevölkerung um Ernährung und Hautpflege Banalitäten gegenüber den Problemen, die bei Krebserkrankungen auftreten können. Die akute Konfrontation mit der Diagnose „Brustkrebs" löst bei Betroffenen eine Fülle von Reaktionen aus. Hierzu gehört auch die Frage nach den Ursachen und damit für die Zukunft die Vermeidung von Risikofaktoren bzw. die Ausschöpfung von Schutzfaktoren.

Beim Umgang mit Umweltfaktoren muss unterschieden werden zwischen solchen, die im Umfeld vorgegeben sind wie Umweltverschmutzung und Strahlung sowie solchen, die eigenverantwortlich und damit vermutlich direkt beeinflussbar sind. Hierzu gehören die Ernährungsgewohnheiten und die Gewohnheiten des Lebensstils. Bei der Bestandsaufnahme vor der Planung bzw. der Umsetzung des guten Vorsatzes „gesünder zu leben“, muss berücksichtigt werden, dass die Definition von Risikofaktoren von den biometrischen Auswertungen großer Bevölkerungsstudien abgeleitet werden und im Individualfall nicht zwangsläufig im direkten Kausalzusammenhang mit der Erkrankung stehen müssen. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass es Jahre dauert, bis aus einer ersten Krebszelle eine Krebserkrankung wird. Von einem gesunden Lebensstil profitieren am meisten die Kinder, wenn sie frühzeitig krebsfördernde Situationen meiden. Somit hat eine Brustkrebserkrankung, die Frauen dazu motiviert, ihren Lebensstil zu überdenken, möglicherweise auch den Nebeneffekt, dass sich anschließend die Lebensbedingungen der gesamten Familie bzw. der Lebensgemeinschaft der betroffenen Frau verbessert!

 

Die Haut: unser größtes Organ

Die Haut ist mit ca. 1,5 bis 2,0 Quadratmeter Oberfläche und 3,5 bis 10 Kilogramm Gewicht das größte Organ des Menschen. Sie ist als Grenze des Selbst zur Außenwelt Sinnesorgan (Tast- und Temperatursinn), Speicherorgan (Wasser, Eiweiß, Fette), Ausscheidungsorgan (Wasser, Stoffwechselschlacken, Wärme) und vieles mehr. Die Haut als morphologische Ich-Grenze ermöglicht die flächige Berührung zwischen außen und innen, zwischen Welt und Seele. Hautpflege von außen stimuliert das Sinnesorgan und kann die Annahme von Verletzungen und die Integration von Narben in das Körpergefühl unterstützen. Hautpflege von innen über die Ernährung beeinflusst die spezifischen Funktionen und kann das Wohlbefinden steigern. Kreislauftraining durch Bewegung führt zur Durchblutungsförderung und unterstützt damit den Sauerstoffantransport und den Schlackenabtransport. Damit gehört Bewegung auch zur Hautpflege von innen.

 

Nicht alle Schmerzen sind heilbar,
denn manche schleichen
sich tiefer und tiefer ins Herz hinein,
und während Tage und Jahre verstreichen,
werden sie Stein.
Du sprichst und lachst, wie wenn nichts wäre,
sie scheinen zeronnen wie Schaum.
Doch spürst Du die lastende Schwere
bis in den Traum.
Der Frühling kommt wieder mit Wärme und Helle,
die Welt wird ein Blütenmeer.
Aber in meinem Herzen ist eine Stelle,
da blüht nichts mehr.

Ricarda Huch, 1944

Während der antitumorösen Therapie (Bestrahlung, Chemotherapie) kann es aufgrund der zelltoxischen Wirkung der Behandlung, die sich auch auf Haut, Haare und Nägel auswirkt, zu Störungen der Befindlichkeit kommen. Insbesondere nach der Entfernung der gesamten Brust (Ablatio) kann die Wahrnehmung des eigenen Körpers erheblich beeinträchtigt sein. Eine sorgfältige Information der Frau über die Ursachen der Veränderungen und Möglichkeiten zur Abhilfe stärken die Befindlichkeit und das Vertrauen in die Zukunft.

Chemotherapeutika können Haut, Schleimhäute und Haare beeinflussen. Die Haut kann unter der Behandlung trockener werden, es fehlen Fett und Wasser. Die Wasseranwendung kann nicht nur von außen, sondern muss auch von innen erfolgen. Dies gilt auch für die Versorgung mit Nährstoffen (Mineralien, Vitamine, Antioxidantien). Das gesamte Haarkleid kann in Mitleidenschaft gezogen werden. Bei der Kopfbehaarung kann sich ein Mischbild aus Alopecia climacterica (altersbedingte Glatzenbildung) und Therapieeffekt entwickeln. Perücken sind eine Hilfe beim Umgang mit der Außenwelt, können aber auch, insbesondere bei empfindlicher Kopfhaut, als lästiger Fremdkörper empfunden werden.

 

Prothese

Die meisten Frauen mit Brustkrebs werden heute brusterhaltend operiert. Von den Frauen, bei denen die erkranke Brust komplett entfernt wird, entscheiden sich viele für einen Brustaufbau, entweder unter Anwendung eines Implantates aus körperfremdem Stoff oder aus Eigengewebe. Dies war nicht immer so. Die komplette Entfernung der Brust war lange Standard und der Ersatz der fehlenden Brust durch eine am Körper als Einlage in den Büstenhalter tragbare Prothese die einzige Möglichkeit, die Silhouette des Körpers in etwa wiederherzustellen.

Prothesen sind der künstliche Ersatz eines Körperteils, von dem die Funktion des verlorenen Körperteils erwartet wird: mit Hilfe eines Holzbeins zu laufen, mit Hilfe einer Zange zu greifen – mit einer Brustprothese was zu tun? Ruth Handler, die für ihre Tochter Barbara (und für Millionen Mädchen nach ihr) 1959 die Barbie-Puppe erfand, entwickelte aus ihrer persönlichen Notlage, durch Brustkrebs die linke Brust verloren zu haben, eine Brustprothese, da sie sich durch die Operation „entweiblicht“ fühlte. Sie nannte diese Brustprothese „Nearly Me“. Während diese am Körper zu tragenden Prothesen die Silhouette des bekleideten Körpers wiederherstellen, kann die eigentliche Funktion der Brust –Nahrung für das Kind und Lust für die Frau zu spenden- nicht wiederhergestellt werden. Der eigentliche emotionale Verlust der Brust wird lediglich verkleidet. Frauen, die ihre Weiblichkeit nicht nur oder nicht primär über ihr Aussehen definieren, wird so nicht wirklich geholfen.

 

Planung von Ernährungsumstellungen

Ernährungsgewohnheiten werden als Krebsrisiken identifiziert, dementsprechend Ernährungsumstellungen geplant. In Abhängigkeit von der aktuellen Situation erhalten Essmotive eine andere Bedeutung: Appetit und Geschmack als Genuss in Verbindung mit der Sorge um Verträglichkeit und Sicherheit der Speisen werden wichtig. Die Beibehaltung von kulturellen Gewohnheiten sowie ökonomische oder ökologische Argumente treten in den Hintergrund.

Mahlzeiten für sich selbst, für die Familie oder für Freunde zuzubereiten, stellt nicht nur die Ernährung sicher, sondern bedeutet auch, sich und die anderen zu versorgen, sich um das weitere Leben zu kümmern. Hierzu gehören die Zusammenstellung der Nahrungsmittel und die Zubereitung der Mahlzeiten, das Einkaufen und Lagern. Die Bedeutung des richtigen Umgangs mit Lebensmitteln wird in unserer Überflussgesellschaft unterschätzt, doch entsprechende Informationsmöglichkeiten (Bücher, Selbsthilfegruppen, Kochkurse) gibt es inzwischen reichlich.

Wasser ist von der Menge her wichtigster Bestandteil unserer Ernährung. Eine großzügige Flüssigkeitszufuhr ist außerdem wichtig für den Stoffwechsel. Harnpflichtige Stoffwechselprodukte werden besser ausgeschieden, wenn genügend Wasser zur Verfügung steht. Der tägliche Mindestbedarf ist 30 Milliliter pro Kilogramm Körpergewicht, das sind für einen 70 Kilogramm schweren Menschen 2,1 Liter. Dabei kann Wasser natürlich auch in Form von schmackhaften Getränken aufgenommen werden, wobei zum Beispiel Tees mit spezifischen Inhaltsstoffen noch eine zusätzliche günstige Wirkung haben können. Allerdings ist bei der Flüssigkeitsaufnahme auch die Zufuhr von Energie und Nähr- sowie Schadstoffen durch die verschiedenen Getränke zu berücksichtigen.

 

Vom Eiweiß bis zu den Spurenelementen

Der Körper benötigt Eiweiß, Kohlenhydrate und Fette als Baustoffe und Energielieferanten. Bei notwendiger Gewichtsreduktion sollten energiereiche Nahrungsmittel gemieden werden. Bei Untergewicht sollte nicht die Nahrungsmenge oder die Mahlzeitenhäufigkeit gesteigert werden, sondern die einzelnen Mahlzeiten energiereiche Nahrungsmittel enthalten (zum Beispiel Sahne, Käse mit hohem Fettgehalt; bei Laktoseunverträglichkeit fermentierte Nahrungsmittel wie Sahnejoghurt).
Für Normal- und Übergewichtige empfiehlt es sich, den Fettanteil niedrig zu halten, zum einen, um eine zu hohe Energiezufuhr zu vermeiden, zum anderen, um die Gallensäureproduktion zu drosseln. Sekundäre Gallensäuren haben eine karzinogene Wirkung, ein Krebsrisiko fettreicher Ernährung.

Der Bedarf an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen sowie Ballaststoffen sollte idealerweise durch die Nahrung gedeckt werden, da die Resorption mit der Nahrung besser ist als aus „Pillen". Dabei sollte kritisch geprüft werden, ob der aktuelle Bedarf auch tatsächlich gedeckt wird. Es ist nicht nur zu berücksichtigen, ob die Nahrungsmittel bestimmte Nährstoffe theoretisch enthalten sollten, es muss auch abgeklärt werden, ob sie die Inhaltsstoffe nach Transport, Lagerung und Zubereitung überhaupt noch enthalten können. Sicherheitshalber kann daher auch der Verzehr von diätetischen Lebensmitteln oder die Einnahme von Nahrungsergänzungspräparaten gewählt werden.

 

Tu Deinem Körper Gutes,
damit Deine Seele Lust hat,
darin zu wohnen.

Teresa von Avila, 1515 – 1582

 

Nahrungsumstellung: Reduzierung von Risikofaktoren

Mit der Erkenntnis, dass die Ernährung eine Bedeutung für die Gesundheit hat, kann der Wunsch entstehen, sich gesundheitsfördernder zu ernähren. Eine gesunde Mischkost („Vollwerternährung") hat inzwischen unbestritten einen hohen Stellenwert in der Krebstherapie und -prophylaxe. Unsere heute gebräuchliche Ernährung ist im Vergleich zu früher energiereicher und ballaststoffärmer, was auf Dauer (auch unter Berücksichtigung der gestiegenen Lebenserwartung) im Hinblick auf Krebserkrankungen zu Risikosituationen führen kann.

Die Umstellung der Ernährungsgewohnheiten führt, und das nicht nur für bereits an Krebs Erkrankte, sondern möglicherweise auch für eine ganze Familie, zu einer Reduzierung von Risikofaktoren. Dies gilt nicht nur für Krebserkrankungen, sondern auch für andere Erkrankungen wie z. B. Adipositas, Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes, Gicht. Somit kann die Nahrungsumstellung insgesamt zu einer besseren Befindlichkeit führen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass sich nicht nur die Zusammensetzung der Mahlzeiten ändert, sondern auch das Einkaufen, Lagern und Zubereiten, sodass sich die gesamte Organisation des Haushalts ändern kann.

 

Persönliche Entwicklung

Leben nach Brustkrebs bedeutet vor allem, sich neu und bewusst zu orientieren. Die eigene Orientierungsfähigkeit zu entdecken und zu entwickeln ist eine Voraussetzung, um die neue Lebenssituation zu akzeptieren. Nicht die gesellschaftlichen Erwartungen sind maßgebend, sondern das eigene Ziel. Um das eigene Leben selbstständig und eigenverantwortlich zu gestalten und die eigenen Ziele zu erkennen, ist es für die Frauen wichtig, sich abzugrenzen: Wer bin ich? Was soll ich? Was will ich? Igelt sich die Frau ein, damit die nächsten Katastrophen möglichst vorbeirollen, gibt sie ihre Individualität auf und verzichtet damit auf Entwicklungschancen. Neue bzw. andere Freiräume sind auch Lernräume. In der Fülle von Informationsmöglichkeiten ist es für die einzelne Frau notwendig zu klären: Wie kann ich mich orientieren? Woran kann ich mich halten? Was ist für mich gültig? und vor allen Dingen: Wer unterstützt meine Entscheidungen?

 

Seelenleiden,
in die wir durch Unglück geraten,
sie zu heilen
vermag der Verstand nichts,
die Vernunft wenig,
die Zeit viel,
entschlossene Tätigkeit hingegen alles.

Im Alltag wird die an Krebs erkrankte Frau durch die Umwelt nicht in ihrer Existenz - ihrem Da-Sein -, sondern als Krebskranke in ihrem So-Sein in Frage gestellt. Durch den kulturell bedingten Widerspruch Brust = Leben und Krebs = Tod wird über den Brust-Krebs die gesamte Existenz in Frage gestellt. Der objektivierende Blick durch die behandelnden Ärzte und ihre Helfer, der für eine erfolgversprechende Therapie notwendig ist, führt zu einer Versachlichung der Krankheit. Hier besteht die Gefahr, dass die betroffene Frau insgesamt zur Sache wird und sich degradiert fühlt. Heute werden Frauen häufig über ihr Aussehen definiert, ein Anspruch der Gesellschaft, der über die Medien präsentiert wird. Für die vom Krebs gekennzeichnete Frau stehen entsprechende Hilfen (Perücken, Prothesen, spezielle Wäsche, Badeanzüge etc.) zur Verfügung, um bei Alltagsaktivitäten nicht als Gezeichnete aufzufallen. Der Austausch mit anderen Betroffenen ermöglicht es, deren Erfahrungen zu nutzen und bestätigt, nicht „die Einzige" zu sein. Dabei ist die Ästhetik der Weiblichkeit nicht unbedingt identisch mit dem natürlichen Frau-Sein. So geht zum Beispiel die Veränderung der Stillgewohnheiten in den letzten Jahrzehnten mit einer Entwicklung des Selbstwertgefühls der Frauen einher, die weg vom Reglementierten hin zum individuellen Bedürfnis sowohl des Säuglings als auch der Frau führt. In der konsequenten Inanspruchnahme dieser Möglichkeiten liegt auch bei der Krebsnachsorge einiges Konfliktpotenzial. Unter der Behandlung ist der Körper der vom Brustkrebs betroffenen Frau zum Schlachtfeld für den „Kampf gegen den Krebs" geworden. Darüber hinaus ist der Körper für sie auch die Ausgangsbasis für das weitere Leben und hat einen Anspruch auf gute Behandlung. Der partnerschaftliche Umgang mit dem eigenen Körper - für manche Frau vielleicht zum ersten Mal im Leben - erfordert die Auseinandersetzung mit den veränderten Verhältnissen, Narben, Sensibilitätsstörungen, wiederherstellenden Operationen oder Prothesen. Es besteht ein deutlicher Unterschied zwischen dem Blick der anderen, zwangsläufig auch durch Überschreiten der individuellen Schamgrenzen, und dem sich Ansehen mit den eigenen Augen. Dabei wird nicht selten schmerzlich erlebt, dass die vermeintliche Wiederherstellung das gesamte Verlusttrauma nicht auffangen kann. Für Frauen während und nach den Wechseljahren schließt dies auch den Verlust der körperlichen Fruchtbarkeit, möglicherweise beschleunigt durch die für sie zum Weiterleben notwendigen therapeutischen Maßnahmen, mit ein.

 

Angst

Im Zusammenhang mit Krebserkrankungen spielt Angst eine nicht unerhebliche Rolle. Dabei geht es nicht nur um die akute Angst der Erkrankten vor dem Krebs und seinen Folgen, sondern auch um die natürliche Angst aller Menschen vor Krankheit, Siechtum, Tod. Wird realisiert, dass Angst auch die Fähigkeit ist, die Zukunft nicht dem Zufall zu überlassen, so kann diese konstruktive Energie auch bei der Gestaltung des zukünftigen Lebens genutzt werden. Dabei sollte klar sein: Wer hat welche Angst? Wer ist sich dessen bewusst? Wer gibt sie anderen gegenüber zu? Wie wird mit dieser Angst umgegangen?

Der unterschiedliche Umgang mit Ängsten –den eigenen und denen des Gegenübers- beeinflusst die Umsetzung von therapeutischen und prophylaktischen Maßnahmen und sollte geklärt sein, bevor Strategien geplant und Behandlungen begonnen werden und sich möglicherweise Konflikte entwickeln.

 

Verantwortung

In der Arbeit mit Krebspatientinnen ist es zwingend, die ärztliche Verantwortung gegenüber der Selbstverantwortung der Patientin abzugrenzen. Therapeuten sind verantwortlich für das, was sie tun und das, was sie unterlassen, nicht aber für das individuelle Schicksal einzelner Patientinnen. Die Berücksichtigung von Ernährung, Körperpflege und weiteren Aktivitäten des Alltags bei der Beratung ist eine gute Möglichkeit, das individuelle Arbeitsbündnis zwischen Arzt und Patientin zu definieren.

Durch die Konfrontation mit der lebensbedrohenden Krebserkrankung wird für die Patientin die Endlichkeit des eigenen Lebens zur Realität. Der Widerspruch zwischen weiblicher Brust als Nahrungs- und Lebensspenderin und Krebs als Metapher des Todes sickert in ihr bewusstes Erleben, die Brust wird so zum „bösen Objekt". Angestoßen durch die Erkrankung und ihre Behandlung wird dem Selbstwertgefühl der Boden entzogen. Dieser Prozess wird unterstützt durch den intensiven Umgang Dritter mit dem kranken Körper. Für die betroffene Frau ist die Beschäftigung mit dem eigenen veränderten Körper durch den bewussten Einsatz von Ernährung und Körperpflege auch eine Chance zur Stabilisierung ihres Selbstwertgefühls. Endgültige - am Ende gültige -, zu ihr selber passende Lebendigkeit kann ein individuelles Ziel sein, über die existentielle Krise hinaus Lebenszufriedenheit, das heißt eine Übereinstimmung zwischen Erwartungen und Möglichkeiten, zu entwickeln.

 

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andere, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegensenden,
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden ..

Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Hermann Hesse